Entwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren
Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf beschlossen, um Bürger vor „zu langsam arbeitenden Gerichten zu schützen“. Der Anspruch von Verbrauchern und Unternehmen auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit solle durch die Möglichkeit der Erhebung einer Verzögerungsrüge und der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen noch besser gewährleistet werden als bisher. Hintergrund ist die mehrfache Monierung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Hinblick auf zu lange Gerichtsverfahren in einzelnen europäischen Ländern, in Einzelfällen auch in der Bundesrepublik Deutschland.
Nach der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz dauern erstinstanzliche Verfahren bei den Amtsgerichten durchschnittlich 4,5 Monate, bei den Landgerichten 8,1 Monate. Länder- und gerichtsspezifisch gebe es aber auch deutliche Abweichungen. Bei den Verwaltungsgerichten betrage die durchschnittliche Verfahrensdauer 12,3 Monate, die Spannbreite reiche aber von durchschnittlich 5,1 Monaten bis 32 Monaten. Finanzgerichte benötigten durchschnittlich 18 Monate, wobei auch hier die länderspezifische Spannbreite von durchschnittlich 9 bis 26 Monaten reiche.
Die Änderung betrifft vorwiegend eine Einfügung im Gerichtsverfassungsgesetz. Entschädigt werden soll, wer infolge unangemessener Verfahrensdauer einen Nachteil erleidet. Immaterielle Schäden, die nicht auf andere Weise einer Wiederhutmachung zugeführt werden können, sollen zu Entschädigungsforderungen von (in der Regel) 1.200 € pro Jahr der Verzögerung führen. Zuvor ist durch den Verfahrensbeteiligten aber eine Verzögerungsrüge – gegenüber dem untätigen Gericht – zu erheben. Die Entschädigungsklage ist frühestens 6 Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge und spätestens 6 Monate nach Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache bei dem Entschädigungsgericht zu erheben. Das heißt, ggf. werden zwei Prozesse gleichzeitig geführt – die Hauptsache vor dem untätigen Gericht und die Entschädigungsklage vor dem Entschädigungsgericht (in Zivilsachen das OLG). Der Deutsche Richterbund (DRB) wies in seiner Stellungnahme vom Mai 2010 bereits darauf hin, dass diese Parallelität der Verfahren wegen der notwendigen wechselseitigen Aktenübersendung zu weiteren Verzögerungen führen wird.
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) erklärte in ihrer Stellungnahme vom Juni 2010, es komme vor allem auf eine hinreichende personelle und sachliche Ausstattung der Gerichte an, die mit der Entschädigungslösung nicht unmittelbar gefördert werde.
BRAK und DRB monierten zudem die Unbestimmtheit der Rechtsbegriffe, wie „angemessene Verfahrensdauer“ oder „Umstände des Einzelfalls“, die weiteres Potential für richterliche Rechtsfindung böten. Unklar sei auch, wann eine Verzögerungsrüge verspätet oder verfrüht erhoben werde.
Wenngleich derzeit in einigen Medien der neue Gesetzentwurf als Errungenschaft gefeiert wird, sollten die aufgezeigten praktischen Hürden durchaus zu einer kritischen Bewertung führen. Zudem ist zu bedenken, dass Richter durchaus versucht sein könnten, nach Eingang einer Verzögerungsrüge die schnelle Entscheidung einer fundierten vorzuziehen.
Noreen Walther
Rechtsanwältin