Bauliche Veränderungen, Modernisierungen und modernisierende Instandsetzungen im WEG
Die Einordnung einer geplanten Umgestaltung des gemeinschaftlichen Eigentums in eine der drei Kategorien des § 22 Abs. 1 – 3 WEG ist nach wie vor umstritten. Der BGH hat in einer Entscheidung, die den Ersatz von Balkonbrüstungen aus Holz durch solche aus Stahl und Glas betraf, am 14.12.2012 unter Az. V ZR 224/11 allgemeine Grundsätze aufgestellt:
- Im Rahmen der Prüfung, ob ein erheblicher Nachteil im Sinne von §§ 22 Abs. 1, 14 WEG bei einer baulichen Veränderung gegeben ist, seien die mit der Maßnahme verbundenen Kosten oder eine etwaige Außenkostenhaftung gegenüber Dritten nicht zu berücksichtigen, da die nicht zustimmenden Eigentümer wegen § 16 Abs. 6 WEG auch nicht für Kosten haften. Im Übrigen hänge die in § 16 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 WEG angeordnete Kostenbefreiung hängt nicht davon ab, ob die Zustimmung des Wohnungseigentümers zu der Maßnahme gemäß § 22 Abs. 1 i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG erforderlich war oder nicht; BGH 11.11.2011, Az. V ZR 65/11.
- Erhebliche optische Änderungen des Gebäudes könnten – unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung – regelmäßig einen Nachteil darstellen, da Geschmäcker verschieden seien und sich die Minderheit deswegen der Mehrheitsmeinung nicht beugen müsse.
- Vorrangig sei jedoch die Einordnung in § 22 Abs. 3 WEG als modernisierende Instandsetzung bzw. in § 22 Abs. 2 WEG als Modernisierung zu prüfen.
- Die Anwendung von § 22 Abs. 3 WEG (modernisierende Instandsetzung) komme in Betracht, wenn Instandsetzungsbedarf bestehe und die Maßnahme über die bloße Instandsetzung hinausgehe, aber die technisch oder wirtschaftlich bessere bzw. sinnvollere Lösung unter Berücksichtigung einer positiven Kosten-Nutzen-Analyse (auch für zukünftige Unterhaltskosten) darstelle.
- Im Hinblick auf § 22 Abs. 2 WEG (Modernisierung) sei Raum für eine großzügigere Handhabung des Modernisierungsbegriffes als im Mietrecht, weil dem Eigentümer auch solche Modernisierungseffekte zugutekommen, die im Mietrecht nur den Vermieter begünstigen. Zudem sollen die Eigentümer eine Verkehrswertminderung durch Anpassung an die Erfordernisse der Zeit abwenden können. Ausreichend sei daher, dass die Maßnahme sinnvoll und voraussichtlich für eine nachhaltige Gebrauchswerterhöhung geeignet ist sowie die Kosten nicht außer Verhältnis zum erzielbaren Vorteil stehen. Auch optische Änderungen können demnach grds. Modernisierungen darstellen. Die Eigentümer würden durch die gesetzlichen Begrenzungen für den Fall der „unbilligen Beeinträchtigung“ sowie zur Änderung der „Eigenart der Wohnanlage“ geschützt, wobei zur Eigenartbeurteilung ggf. auch die Umgebungsbebauung zu berücksichtigen sei.
Umstritten ist weiter, ob es bei einer Modernisierung einer Kosten-Nutzen-Analyse durch einen Gutachter bedarf, dafür: LG München I 27.04.2009, Az. 1 S 20171/08; AG Konstanz 31.01.2013, Az. 12 C 620/12; a. A. LG Düsseldorf 06.06.2012, Az. 25 S 8/12.
Ob nach der seit 01.07.2007 geltenden Rechtslage nunmehr jede Maßnahme nach § 22 Abs. 1 WEG einer Zustimmung durch Mehrheitsbeschluss bedarf, sofern sie nicht durch die Teilungserklärung oder sonstige Vereinbarungen legitimiert ist, oder ob eine Zustimmung auch im Wege außerhalb der Eigentümerversammlung abgegebener Erklärungen erfolgen kann, wird ebenso uneinheitlich beurteilt, vgl. LG Berlin 29.10.2010, Az. 55 S 155/10 WEG; Elzer in Beck´scher Onlinekommentar Stand 01.01.2015, § 22 WEG Rn. 58 ff. m. w. N. Der BGH hat diese Rechtsfrage bisher offen gelassen, vgl. Urteil vom 07.02.2014, Az. V 25/13.
Hier ein Überblick zu einzelnen Fällen:
Balkone / Terrassen / Wintergärten
Da der Anbau von Balkonen in Ständertechnik das äußere Erscheinungsbild erheblich verändere und die Nutzbarkeit darunter liegender Gemeinschaftsflächen einschränke, bedürfe der Beschluss der Zustimmung aller Eigentümer. Es handele sich nicht um eine Modernisierung, weil die Eigenart der Wohnanlage geändert werde, insbesondere wenn nicht sämtliche Wohnungen einen Anbau erhalten und somit ein uneinheitlicher Gesamteindruck entsteht. Zu berücksichtigen seien zudem unbillige Beeinträchtigungen einzelner Eigentümer, deren Mieter wegen Baulärm und Verschattung mindern könnten; LG Lüneburg 31.05.2011, Az. 9 S 75/10 (anders noch die Vorinstanz AG Hannover!)
Eine Balkonvergrößerung ist nach Ansicht des AG Hamburg-Altona 10.07.2013, Az. 303b C 30/12, eine Modernisierungsmaßnahme.
Enthält die Teilungserklärung eine Duldungspflicht hinsichtlich des Balkonanbaus, bedürfe es dennoch für die Frage, „wie“ der Anbau ausgeführt wird, der Allstimmigkeit nach § 22 I WEG; LG Berlin 16.07.2013, Az. 55 S 171/12 WEG.
Die Errichtung von Wintergärten auf Balkonflächen sei nachteilige bauliche Veränderung wegen optischer Beeinträchtigung durch Störung der architektonischen Harmonie und Änderung der Eigenart der Wohnanlage (bislang kein Wintergarten und Anbau ist lt. Gesetzesbegründung immer bauliche Veränderung). Außerdem sei der Windschutz allein keine nachhaltige Gebrauchswerterhöhung sondern schlicht andere Nutzungsart; AG Konstanz, 13.03.2008, Az. 12 C 17/07.
Stört eine Verglasung die Einheitlichkeit der Fassade, bedürfe es allseitiger Zustimmung; AG Charlottenburg 25.10.2012, z. 73 C 220/10.
Aufzüge
Die Errichtung von Außenaufzügen bedürfe der Zustimmung aller Eigentümer, da es sich zwar um Modernisierungsmaßnahme handelt, diese aber die Eigenart der Wohnanlage ändere (Durchbrechung der architektonischen Ideen, Aufzüge wirkten „aufgesetzt“). Auch bei überwiegend älteren Mietern bestehe kein Anspruch auf Außenaufzug wegen Barrierefreiheit, vielmehr seien Alternativen, wie Treppenlifte oder Innenaufzüge vorzuziehen; AG Konstanz, 13.03.2008, Az. 12 C 17/07
Rollladen
Wenn der optische Gesamteindruck der Fassade nachteilig geändert wird, bestehe ein individueller Beseitigungsanspruch der Mitwohnungseigentümer gemäß §§ 1004 I 1 BGB, 16 III, 14 Nr. 1 WEG. Hier wirke der Rolladen sowohl im geöffneten als auch im geschlossenen Zustand wegen der deutlich sichtbaren Farbabweichung von der Fassade (weiß vor rotem Backstein) sowie der Asymmetrie störend, LG Hamburg 30.05.2012, Az. 318 C 176/11.
Sonstiges zur Fassade
Ändert ein Neuanstrich das Gesamterscheinungsbild, sei § 22 I WEG anzuwenden; LG München 20.09.2012, Az. 36 S 1982/12 WEG.
Die Befestigung einer Parabolantenne sei gemäß § 22 Abs. 1 WEG zu würdigen, der Nachteil i. S. v. § 14 WEG einzelfallbezogen zu prüfen. In der Regel werde der optische Eindruck beeinträchtigt. Auch ein Ausländer habe keinen Anspruch auf Empfang sämtlicher Heimatprogramme sondern nur solcher in ausreichender Zahl, wobei die Möglichkeiten des Internets vorrangig zu nutzen seien; LG Frankfurt a. M., 21.05.2013, Az. 2-13 S 75/12.
Die Installation einer Klimaanlage versteckt auf dem Flachdach mit farblicher Anpassung an das Dach ohne zu befürchtende Geräuschbelästigungen und nach professioneller Kabelverlegung stelle keinen Nachteil im Sinne von § 14 WEG dar, LG Hamburg 06.06.2014, Az. 318 S 131/13.
Die optische Änderung des Eingangsbereiches (Verglasung einer Rezeption) sei als Änderung der Eigenart bauliche Veränderung, AG Nürnberg 16.08.2013, Az. 30 C 6675/12 WEG.
Umstritten ist, ob die Ersetzung eines Fensters durch eine Terrassentür hinzunehmen ist, dafür: LG Hamburg 11.01.2012, Az. 318 S 32/11; a. A. LG Berlin 29.10.2010, Az. 55 S 155/10 WEG.
Stellplätze
Ein fest verankerter umklappbarer Metallsperrbügel sei eine bauliche Veränderung nach § 22 Abs. 1 WEG, LG Düsseldorf 14.03.2013, Az. 19 S 55/12.
Heizung
Die Errichtung eines BHKW könne in Abhängigkeit von evtl. Instandsetzungsbedarf modernisierende Instandsetzung oder Modernisierung sein, AG Pinneberg 26.04.2013, Az. 60 C 40/10 – a. A.: nicht jedoch, wenn sie zur „Ergänzung“ der Heizanlage erfolgen soll, AG Bremen-Blumenthal 16.03.2011, Az. 44 C 1197/10. Neben der Kosten-Nutzen-Analyse ist nach AG Pinneberg die Sachwertsteigerung des Gemeinschaftseigentums zu berücksichtigen.
Garten
Als bauliche Veränderung seien die Fällung eines die Anlage prägenden Baumes, LG Hamburg 29.05.2013, Az. 318 S 5/13; AG Braunschweig 29.10.2013, Az. 116 C 1448/13; das Aufbringen großer Findlinge, AG Oberhausen 09.07.2013, Az. 34 C 94/12, sowie die Ersetzung eines Rundholzzaunes durch Halbrundhölzer dar, AG Charlottenburg 23.10.2013, Az. 73 C 72/13.
Ein Sondernutzungsrecht zur Gartengestaltung berechtige nicht durch Errichtung einer massiven Steinwand, LG Frankfurt a. M., 18.12.2013, Az. 2—13 S 82/12; ebenso für die Errichtung von Sichtschutzelementen LG Stuttgart 24.02.2014, Az. 2 S 18/13.
Eine Terrassenüberdachung stelle einen Nachteil im Sinne von §§ 22 Abs. 1, 14 WEG dar, wenn sie die Instandsetzung erschwert, BGH 7.2.2014, Az. V ZR 25/13.
Die oben zitierten Entscheidungen sind stets einzelfallbezogen zu betrachten. Es bleibt somit im WEG weiterhin spannend.
Noreen Walther
Rechtsanwältin
im Kanzleiforum 03/2015
Rechtsanwälte Strunz ♦ Alter, Chemnitz