Die Auswirkungen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auf das deutsche Arbeitsrecht
Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg beschäftigt sich auch mit deutschen Arbeitsrechtsstreitigkeiten, wenn entweder zum EuGH Klage erhoben wird oder sich ein deutsches Gericht mit einer Vorlage an diesen wendet. Mit einem Vorlagebeschluss kann das Gericht beim EuGH zur Übereinstimmung deutscher Gesetzlichkeit bzw. deutscher Rechtsprechung mit EU-Recht anfragen.
Die Entscheidungen des EuGH hatten in der Vergangenheit teils gravierende Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht. Besonders unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung von einzelnen Arbeitnehmern oder –gruppen wurde eine teilweise seit Jahrzehnten bestehende Rechtslage im deutschen Arbeitsrecht für nicht mit dem EU-Recht in Einklang stehend beurteilt. Der deutsche Gesetzgeber ist dann gehalten, die entsprechende Rechtsvorschrift zu ändern, teilweise genügt auch die Anpassung durch die Rechtsprechung.
Der EuGH bezieht seine Entscheidungen meist auf die europäische „Richtlinie 2000/78 EG vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“. Die Grundsätze der Richtlinie hat der deutsche Gesetzgeber mit dem allgemeinen Gleichstellungsgesetz in nationales Recht umgesetzt.
Der EuGH sieht jedoch immer wieder Verstöße gegen die EU-Richtlinie. Mit dem sogenannten Mangold-Urteil hat er die These entwickelt, dass die Altersdiskriminierung als ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzusehen sei und dessen Verbot zum Primärrecht erklärt.
Dem folgt auch eine Entscheidung vom Anfang diesen Jahres, mit der die Kündigungsfristenregelung des § 622 BGB gekippt wurde. Bekanntlich sind dort die Kündigungsfristen für den Arbeitgeber nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit gestaffelt. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB bestimmt allerdings, dass bei der Berechnung der Betriebszugehörigkeit Beschäftigungsjahre vor dem 25. Geburtstag nicht mitgezählt werden.
In dem zur Entscheidung stehenden Fall hatte eine 28-jährige Arbeitnehmerin mit 10-jähriger Betriebszugehörigkeit gekündigt und nach der vorstehenden Regelung wurden ihr bei der Berechnung der Kündigungsfrist 3 Beschäftigungsjahre angerechnet. Dies hielt der EuGH für unzulässig, da jüngere Arbeitnehmer dadurch benachteiligt würden.
Bis zur Änderung des Gesetzes obliegt es nun den Gerichten, in einem derartigen Rechtsstreit den § 626 Abs. 2 Satz 2 zu negieren oder anzuwenden. Nach den Erfahrungen mit der EuGH‑Entscheidung zum Erlöschen des Urlaubsanspruchs, wenn der Urlaub wegen Krankheit bis zum 31.03. des Folgejahres nicht genommen werden kann, nach der das BAG sofort seine Rechtsprechung angepasst hat, ist ein Arbeitgeber nunmehr gut beraten, den § 622 BGB bei Ausspruch einer Kündigung entsprechend der Auslegung des EuGH anzuwenden.
Verfassungsrechtlich ist der tatsächliche Eingriff des EuGH in das deutsche Rechtssystem nicht unumstritten. Das betrifft auch andere Rechtsgebiete, wie z. B. kürzlich die EuGH-Entscheidung zum staatlichen Glücksspielmonopol.
Nach dem vorgenannten Urteil zu den Kündigungsfristen hat die Bundesregierung allerdings erklärt, nunmehr das gesamte Arbeitsrecht hinsichtlich der Kompatibilität zum EU-Recht auf den Prüfstand zu stellen. Auch die Tarifparteien in der Wohnungswirtschaft haben ja bereits auf das Verbot der Altersdiskriminierung reagiert und die Abhängigkeit der Gehaltsstaffelung vom Lebensalter aus dem Vergütungstarifvertrag herausgenommen.
Manfred Alter
Rechtsanwalt
im Kanzleiforum 12/2010
Rechtsanwälte Strunz ♦ Alter, Chemnitz