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Die Erhaltungsrücklage im Wohnungseigentumsrecht

Zur ordnungsmäßigen Verwaltung und Benutzung gehört insbesondere die Ansammlung einer angemessenen Erhaltungsrücklage, § 19 Absatz 2 Nr. 4 WEG, bis 12/2020 Instandhaltungsrückstellung genannt.

 

Zweck der Rücklage

Durch die Bildung der Erhaltungsrücklage soll sichergestellt werden, dass selbst bei unvorhergesehenem Reparaturbedarf die notwendigen Mittel unverzüglich zur Verfügung stehen, um das gemeinschaftliche Eigentum zu erhalten. Eine Verwahrlosung, Schadensweiterung wegen fehlender (durch fehlende Zahlungskraft einzelner Eigentümer) oder (wegen erst notwendiger Bildung und Beitreibung einer Sonderumlage) zu spät zur Verfügung stehender Geldmittel soll vermieden werden. Die Aufbringung der Erhaltungskosten auch für größere Maßnahmen in Raten wird einzelne, zahlungsschwächere Miteigentümer weniger überfordern, vgl. BeckOK WEG/Elzer, 53. Ed. 3.7.2023, WEG § 19 Rn. 134.

Die Rücklage dient dem Namen nach der Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums, also unabhängig von Größe, Umfang und Planbarkeit der Erhaltungsmaßnahme, so dass auch Kleinreparatur- und Wartungskosten daraus bezahlt werden könne, vgl. Suilmann ZWE 2015, 246. In vielen Gemeinschaften werden jedoch Beschlüsse gefasst, dass Erhaltungskosten bis zu einer bestimmten Höchstgrenze aus den laufenden Bewirtschaftungskosten zu zahlen sind, die Rücklage also größeren und unplanmäßigen Vorhaben vorbehalten bleiben soll.

Die Pflicht zur Bildung der Rücklage unterliegt nach einhelliger Ansicht nicht dem Ermessen der Eigentümer. Jeder Eigentümer kann deshalb verlangen und ggf. gerichtlich durchsetzen, dass eine Erhaltungsrücklage gebildet wird. Es ist somit die Pflicht des Verwalters, einen – notfalls immer wieder – Beschlussvorschlag zur Bildung unter Hinweis auf die Rechtspflicht auf die Tagesordnung zu setzen anderenfalls kann er sich haftbar machen, wenn bei plötzlichem

Erhaltungsaufwand Mehrkosten z. B. durch Kreditzinsen entstehen. Der Verwalter muss die Zuführung im Wirtschaftsplan vorsehen und den Umlageschlüssel für Erhaltungskosten zugrunde legen, vgl. Müller/Fichtner Wohnungseigentum, § 18 Rn. 143-146.

 

Angemessene Höhe

Zur angemessenen Höhe schweigt das Gesetz. Die Eigentümer haben also ein Ermessen, in welchem Zeitraum und in welcher Höhe sie eine Rücklage bilden. Das Ermessen kann ggf. auf null reduziert sein, wenn Erhaltungsbedarf absehbar ist und hinreichende Finanzmittel nicht zur Verfügung stehen. Ordnungsgemäßer Verwaltung widersprechen im Übrigen aber in i. d. R. nur deutlich überhöhte oder zu geringe Beitragsbemessungen, vgl. BGH, Urt. v. 1. 4. 2011, Az. V ZR 96/10. Die Angemessenheit bestimmt sich, wenn nichts anderes vereinbart ist, nach den Umständen des Einzelfalles, also nach Größe, Alter und Zustand der Anlage sowie den zu erwartenden Kosten, Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 19 Rn. 226-228, OLG München Beschluss vom 20.12.2007, Az.34 Wx 076/07; u. U. auch nach den wirtschaftlichen Verhältnissen der Wohnungseigentümer (LG München I v. 14.7.2016- 36 S 3310/16 WEG). Vorgeschlagen werden folgende Methoden zur Ermittlung der angemessenen Höhe:

  • Anwendung von § 28 II. BV (je nach Alter 7,10 EUR bis 11,50 EUR), vgl. LG Hamburg, Urteil25. 5. 2011, Az. 318 S 208/09; als grobe Orientierung: OLG Hamm, Beschluss vom 18. 5. 2006, Az. 15 W 25/06; als Höchstgrenze, wenn nicht größerer Bedarf konkret absehbar ist: AG Mettmann, Urteil vom 28.08.2008, Az. 26 C 40/08;
  • „Faustformeln“: z. B. 1 EUR/m² (vgl. LSG Baden-Württemberg Urt. v. 26.1.2007, Az. L 12 AS 3932/06);
  • Peters’sche Formel, bei der die Baukosten im Erstellungsjahr zu den Baukosten im Jahr der Durchführung ins Verhältnis gesetzt werden: Herstellungskosten/m² x 1,5 x 0,65 geteilt durch Nutzungs-/Lebensdauer von 80 Jahren, somit ca. 20 bis 50 €/m²/a, vgl. AG Hamburg-Blankenese Urt. v. 12.6.2019, Az. 539 C 26/18;
  • Ermittlung anhand eines Instandhaltungsplans unter Berücksichtigung empirischer Werte zur technischen Nutzungsdauer von Bauteilen sowie bisher bekannt gewordener Reparaturanfälligkeit, voraussichtlicher Kosten einschl. Inflation sowie evtl. Ausfallrisiken Zahlungspflichtiger. Der letzte Vorschlag erscheint vorzugswürdig, wenn auch für den Verwalter am aufwändigsten.

     

Art und Weise

Wo und in welcher Form die Rücklage geführt wird, entscheiden die Eigentümer, in Ermangelung eines Beschlusses der Verwalter nach pflichtgemäßem Ermessen. Er hat sie dann „mündelsicher“, möglichst gewinnbringend und nicht spekulativ anzulegen, vgl. Dötsch a.a.O. Rn. 230. Beschließen die Eigentümer eine spekulative, also risikoträchtige Anlageform, muss der Verwalter über die Ordnungswidrigkeit und Tragweite des Beschlusses zur Meidung eigener Haftung aufklären (OLG Celle, Beschluß vom 14. 4. 2004, Az. 4 W 7/04), den Beschluss aber dennoch ausführen.  

Da die Rücklage zweckentsprechend bei plötzlichem Erhaltungsbedarf schnell verfügbar sein muss, scheiden langfristige Anlageformen aus. Andererseits sollte sie möglichst zinsbringend angelegt werden. Feste Vorgaben können weder dem Gesetz noch der Rechtsprechung entnommen werden. Vielmehr kommt es auf die Auskömmlichkeit der Rücklage an, die es möglicherweise erlaubt, Teile zinsbringend längerfristig und Teile ohne wesentliche Rendite mit jederzeitiger Zugriffsmöglichkeit anzulegen. Relevant ist auch die Entwicklung am Finanzmarkt. Werden für Sparanlagen, Tagesgeldkonten etc. keine Zinsen gewährt, sondern evtl. sogar Kontoführungsgebühren erhoben, kommt sogar die Führung der Rücklage auf dem Gemeinschaftskonto als buchhalterisches Unterkonto in Frage, so Dötsch a.a.O. Rn . 229 unter Verweis auf ein Urteil des BGH zu Az. V ZR 163/20, was aber Rücklagen von Untergemeinschaften betrifft; BeckOK WEG/Elzer § 19 Rn. 156. Nach a. A. bedarf es stets eines Sonderkontos, vgl. Suilmann a.a.O.; Müller/Fichtner a.a.O. Rn. 148 ff., auf das die Zuführungen mind. Quartalsweise vom Wirtschaftskonto zu überweisen sind.

 

Entnahmen aus der Rücklage

Grundsätzlich bedarf jede Entnahme der vorherigen Beschlussfassung, das wird nach der Reform 2020 weiterhin vertreten, (Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 19 Rn. 232; BeckOK WEG/Elzer § 19 Rn. 157-159, der jedoch Entnahmen durch den Verwalter nach § 27 Absatz 1 WEG erlaubt). Dringend zu empfehlen ist ein grundsätzlicher Ermächtigungsbeschluss, inwieweit der Verwalter ohne Einzelbeschluss auf die Rücklage zugreifen darf.

Eine Entnahme aus der Rücklage scheidet aus, wenn die Kosten der Erhaltung nicht sämtliche Eigentümer treffen.

Eine zweckwidrige Verwendung kann vereinbart oder beschlossen werden. Ein Beschluss ist jedoch anfechtbar, er wird häufig gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung verstoßen, jedenfalls wenn kein sog. „auskömmlicher Teil“ zur zweckentsprechenden Verwendung übrig bleibt. Die Ausschüttung oder Umwidmung der Rücklage kann also ohne weiteres beschlossen werden, sofern und soweit der verbleibende Teil zur zweckentsprechenden Verwendung hinreichend hoch ist, wenn also nur ein nicht erforderlicher Überschuss betroffen ist.

So kann es ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, einen Teil in eine Liquiditätsrücklage umzuwidmen, obwohl Erhaltungsmaßnahmen bevorstehen, deren Kosten die Höhe der Rücklage übersteigen. Im Fall des AG Köln, Urt. v. 17.1.2023, Az. 215 C 48/22, betrug die gebildete Rücklage 1,9 Mio €, jährlich wurden ihr 233 T€ zugeführt. 200 T€ wurden als Liquiditätsrücklage umgewidmet. Eine Balkonsanierung über 3,6 bis 5 Mio. EUR stand bevor. Das Gericht stellte darauf ab, dass umgewidmete Betrag nur ca. 11 % der vorhandenen Erhaltungsrücklage umfasst und die Liquiditätsrücklage bei Bedarf auch wieder aufgelöst werden könne. Die Energiekrise berechtige auch zur entsprechenden Ermessensausübung. Letztlich erfordere die Höhe der Balkonsanierungskosten ohnehin die Bildung einer Sonderumlage. Entsprechend erkannte auch das AG Lübeck Urt. v. 18.3.2022, Az. 35 C 52/21, ein nachvollziehbares Interesse daran an, die Erhaltungsrücklage über 127 T€ um 15 T€ abzuschmelzen, um damit eine Liquiditätsrücklage zu bilden. Der Anfechtungskläger müsse beweisen, dass die verbliebenen 105 T€ nicht auskömmlich seien.

 

Erhaltungsrücklagen in Untergemeinschaften

In Mehrhausanlagen können Untergemeinschaften gebildet werden. Diese sind zwar nicht rechtlich selbständig, aber zumeist wirtschaftlich-organisatorisch. Separate Rücklagen pro Untergemeinschaft, über welche nur die jeweiligen Untergemeinschaften verfügen, dürfen beschlossen und geführt werden. Rechtlicher Eigentümer bleibt – mangels Rechtsfähigkeit der Untergemeinschaften – aber die Gesamtgemeinschaft, vgl. Müller/Fichtner a.a.O.

 

Anteil an der Rücklage

Die Rücklage ist Bestandteil des Gemeinschaftsvermögens, an der es allenfalls ideelle, aber keine rechtlichen Anteile der einzelnen Eigentümer gibt, Dötsch a.a.O. § 19 Rn. 215f. Somit besteht auch kein Anspruch auf Auskehr eines Anteils bei Ausscheiden aus der Gemeinschaft, vgl. MüKoBGB/Rüscher, 9. Aufl. 2023, WEG § 19 Rn. 44 f.

 

Auflösung der Rücklage

Die Auflösung könnte, dürfte aber nicht beschlossen werden, solange eine technische Anlage auf dem Grundstück existiert, der Beschluss wäre anfechtbar, vgl. Müller/Fichtner a.a.O. § 18 Rn. 133 f.

 

Noreen Walther
Rechtsanwältin